Donnerstag, 25. August 2016

LETZTE WÜNSCHE

In Hamburg gibt es eine Stiftung mit dem Slogan EIN LETZTER WUNSCH „Leben erleben“. Diese Stiftung hat sich das Ziel gesetzt, sterbenden Menschen die letzten Wünsche zu erfüllen. Finanziert von Spendengeldern und durch viel ehrenamtliche Arbeit aufgebaut werden Reisen nach Schottland, eine Ballonfahrt, Schwimmen mit Delphinen, noch einmal auf den Nürburgring und vieles mehr ermöglicht.
siehe link >>> EIN LETZTER WUNSCH

In Berlin, Kiel und anderen Standorten gibt es seit Kurzem „Wünschewagen“ mit dem Slogan „Letzte Wünsche wagen“ und mit dem gleichen Ziel: noch einmal an der Familienfeier in der Ferne teilnehmen, einen Sonnenuntergang am Meer bewundern oder das Konzert der Lieblingsband besuchen.
siehe link >>> WÜNSCHEWAGEN

Die letzten Wünsche von sterbenden Menschen haben eine besondere Magie, beinahe etwas Heiliges. Letzte Wünsche sind etwas, woran man ungern vorbei schaut, was unbedingt erfüllt werden möchte. Man geht mit den letzten Wünschen von Sterbenden anders um als mit „gewöhnlichen“ Wünschen, misst ihnen mehr Bedeutung bei. Vielleicht, weil die „Wucht des LETZTEN MALES“ direkt vor der Tür steht. Das LETZTE MAL alleine aufstehen können, das LETZTE MAL sprechen können, das LETZTE MAL sich alleine anziehen können, das LETZTE MAL lesen können, das LETZTE MAL vor der Tür stehen und eine Zigarette rauchen. Man weiß nie, wann das LETZTE MAL ist – man weiß es immer erst hinterher. Wenn es schon gewesen ist.

Am Ende höre ich viel von anderen Wünsche. Wünsche, die nicht mehr mit Geld zu kaufen sind oder von einer Stiftung organisiert werden können.

Der Wunsch, dass die Liebe zu der Tochter bis in den Tod reicht.
Der Wunsch, Frieden mit der Lebensgefährtin zu finden.
Der Wunsch, keine Angst mehr zu haben.
Der Wunsch, sich nicht mehr schuldig zu fühlen.
Der Wunsch, die eigenen wichtigen Baustellen im Leben zu finden und noch beheben zu können.
Der Wunsch, bis zuletzt bei vollem Bewusstsein zu sein.
Der Wunsch, sich geborgen und aufgehoben zu fühlen
Der Wunsch, sich geliebt zu fühlen.
Der Wunsch, nicht vergessen zu werden.
 
Welches wären meine LETZTEN WÜNSCHE?
Und warum soll ich mit der Erfüllung dieser Wünsche bis kurz vor meinen Tod warten?
Warum nicht gleich damit beginnen? JETZT - wenn sie doch so wichtig sind. 
 
 
 
 
Jüdischer Friedhof in Prag: 
in den Steinen wurden unzählige Zettel mit geheimen Wünschen hinterlassen.




 
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Meine blog-Einträge werden mit Zeichnungen von geflüchteten Menschen begleitet,
die in Hamburg angekommen sind. Sie sind auf
Kunstaktionen vor ihren Notunterkünften entstanden.
Es ist mir eine große Ehre, dass ich dabei fotografieren durfte.
DANKE!


 
Kinder und Erwachsene aus den provisorischen Zeltdörfern malen immer wieder
bunte Häuser mit Fenstern und Türen, Sonne und Wolken, Vögel, Gärten und Brücken.

 

Montag, 18. Juli 2016

ICH LEBE NOCH

Gestern hat mich die junge Frau, die ich zurzeit und sehr gerne begleite, zu einem Fest eingeladen. Ein Fest, zu dem alle die Menschen kommen sollen, die später auch bei ihrer Trauerfeier dabei sein werden. Menschen, die sie mag, die ihr wichtig sind, die sie liebt, die sie achtet. Seelenverwandte, Freunde, Familie.
 
Ich lebe noch! – und das möchte ich genau mit dir feiern. Jetzt oder nie.
 
Wenn der Tod nahe ist, dann wird das Leben anders. Nicht nur für denjenigen, der gehen muss, sondern auch für die Menschen rundherum. Gespräche angesichts des Todes gehen "ans Eingemachte", kommen auf den Punkt. Was ist mir im Leben wichtig? Warum tue ich das, was ich für wichtig halte, so selten? Warum muss erst eine Diagnose gestellt werden, bevor ich meine Gewohnheiten ändere? Woran glaube ich? Was kommt nach dem Leben?

 Und es werden Geschichten erzählt:
„Als meine Mutter gestorben ist hat sie immer gesagt, dass mein Vater schon auf sie wartet und sie abholen wird, wenn es soweit ist. Das war sehr tröstlich für mich. Glaubst du an so etwas?“

„Ja, das es eine Macht gibt, die für komische „Zufälle“ verantwortlich ist, das kann ich mir vorstellen. Zum Beispiel, wenn ich ganz stark an einen Menschen denke – und dann einen Anruf von ihm bekomme.“

„Warum kann ich nur so schwer meine Gewohnheiten ändern? Ich nehme mir etwas vor und möchte es wirklich gerne machen und lande dann doch wieder auf dem Sofa. Unzufrieden noch dazu. Mein Bruder macht jedes Jahr eine TO-DO-Liste von den Dingen, die er vor seinem Tod noch erledigen möchte. Und er arbeitet sie tatsächlich ab.“
Kann ich ein Leben leben, in dem nichts offen bleibt? In dem Alles gelebt wird, was mir lohnenswert und wichtig erscheint und kein „ach, hätte ich bloß“ zurückbleibt? Geht das?
 


HEUTE MAL *** ANDERS ist ein blog-Tagebuch,

HEUTE MAL *** etwas machen, dass aus den gewohnten Rahmen fällt.

HEUTE MAL *** über meine eigene Trauerfeier nachdenken:
                                meine Trauerrede, meine Trauergäste, mein Sarg, mein Grab.
 
 

Donnerstag, 14. Juli 2016

SCHLAFLOS

Jeder Besuch als Sterbebegleiterin im ambulanten Hospiz gibt mir genug Anlass, um über mich selber nachzudenken. Über meine Situation, meine Verhältnisse, meine Beziehungen. Nach meinen Besuchen schreibe ich kleine Geschichten, die die Situation der Sterbenden widerspiegeln, aber auch meine Gedanken und Gefühle. Wie geht es einer jungen Frau, die weiß, dass sie sterben wird und ihre Kinder alleine lassen muss?
 
 
SCHLAFLOS


Gerade wird alles wichtig, muss alles geregelt werden. Nichts soll ausgelassen werden. Nichts unausgesprochen. Nichts aufgeschoben. Das JETZT ist wichtiger denn je und jedes Gefühl zählt. Das Risiko, das ich etwas übersehen könnte, macht mich schlaflos. Das gilt besonders für meine Kinder.
 
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Ich wünsche mir so sehr, dass ein gutes Leben auf sie wartet. Dass sie sich geliebt fühlen und lieben können. Auch sich selbst.

Dass ihr Selbstvertrauen weiter wächst und dass sie anderen Menschen vertrauen können. Dass sie ihre wundervollen Begabungen erkennen und sie einsetzen können.
 
Dass das Leben ihnen wohlgesonnen ist und dass sie mit Freude ihren Weg gehen werden. Dass sie diese Freude am Leben weitergeben können, sodass viele Menschen
gerne ihr Leben mit ihnen teilen möchten.

Ich wünsche mir, dass meine Söhne sich getragen fühlen, auch in ihrer Trauer. Dass sie sich fallen lassen können, auch in ihrer Freude. Und dass sie immer das Gute in dem Anderen sehen können.

Ich wünsche Ihnen gute Wegbegleiter, die Ihnen genau die Art an Hilfe und Unterstützung geben können, die sie brauchen. Freunde mit liebenden Hände und wachsamen Ohren.

 Ich wünsche ihnen, dass sie nicht das Gefühl haben, immer stark sein zu müssen, sondern auch zu ihren Schwächen stehen können und ihre weichen Seiten ernst nehmen.

Ich wünsche Ihnen, dass sie sich beschützt fühlen und in diesem Schutz alles das entdecken können, was ihnen wichtig ist.

Ich wünsche Ihnen, dass sie ein tiefes Vertrauen darin entwickeln, dass alles, was ihnen passiert, einen Grund hat und dass dieser Grund ein guter Grund ist.

Das wünsche ich Ihnen von tiefsten Herzen, und dafür werde ich kämpfen wie eine Löwin. 

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Ich wünsche mir, dass ich mir um all das keine Sorgen mehr zu machen brauche,
denn diese Sorgen machen mich schlaflos. Ich wünsche mir, dass alles genauso passieren wird.
 
 

Montag, 4. Juli 2016

STILLGEBORENE

Während der Ausbildung zur Sterbebegleiterin bin ich über das Wort gestolpert und es hat mich seitdem nicht mehr losgelassen. Stillgeboren – ein Wort, das einen unendlichen Raum für Ungesagtes in sich birgt. Ich kannte das Wort vorher nicht – und möglicherweise kennen „Stillgeborene“ auch nur Menschen, die es selber erlebt haben: ein Baby, dass vor der Geburt stirbt, ist ein menschliches Drama, über das kaum jemand spricht.

Auch meine Großmutter nicht. 
Durch Zufall habe ich davon erfahren. Über meine Mutter. Sie wusste von dem stillgeborenen Kind, durfte aber nie darüber sprechen. Jetzt, mit beinahe 80 Jahren, erzählt sie mir das erste Mal davon und ich bekomme eine Vorstellung von dem tiefen Schweigen meiner Mutter und der bodenlosen Einsamkeit meiner Großmutter.

Es muss ungefähr 1932 oder 1933 gewesen sein, im Norden von Deutschland, in Angeln. Meine Großmutter führte ein Leben als „Sattlerfrau“, war Mutter von damals drei Kindern auf einem kleinen Dorf nahe der dänischen Grenze, umgeben von kleinen Bauernhöfen und Großgrundbesitzern. Die Sattlerwerkstatt meines Großvaters habe ich noch kennengelernt, sie war voll mit geheimnisvollen Werkzeugen und einem unterirdischen Kartoffelkeller, in dem man prima Verstecken spielen konnte.
Neben den drei Kindern versorgte meine Großmutter die Gesellen meines Großvaters, die in Gesellenzimmern untergebracht waren. Holzverkleidete kleine Räume mit drei bis vier Gesellenbetten darin – ein ideales Schlafparadies für die späteren Enkelkinder – also für uns. Als Kinder haben wir mit unseren Cousinen oft darin gespielt und bergeweise Süßigkeiten für einen Pfennig von dem Tante Emmaladen gleich um die Ecke verputzt. Die gab es aus großen Gläsern, in die wir selber mit unseren nicht immer sauberen Händen hereingreifen durften. Der ganze Laden roch nach saurer Milch, weil es eigentlich ein Milch-und Käseladen gewesen ist. Früher hat meine Großmutter und Handwerksmeisterfrau dort sicher ein von der Dorfgemeinschaft geachtetes und respektables Leben geführt.
1932 war eine Zeit mit großer Arbeitslosigkeit und die Machtübernahme Hitlers nahte in Riesenschritten. Die Schrecken des ersten Weltkrieges mit den ganzen Verlust- und Existenzängsten, die so ein Krieg mit sich bringt, steckten noch in den Knochen. Kinder waren zu der Zeit nicht nur ein “Statussymbol“, sondern auch eine Art „Lebensversicherung“ und „Altersvorsorge“. Damals war meine Großmutter mit ihrem vierten Kind schwanger, sichtbar für alle. Als sie ins Krankenhaus gefahren ist, um ihr Kind zu bekommen – ist sie ohne wieder nach Hause gekommen. Mehr weiß meine Mutter darüber nicht. Nur auch, dass es eine Situation gewesen ist, die meine Großmutter nie richtig verkraftet hat– und über die nie gesprochen werden durfte. Im Dorf nicht und schon gar nicht in der Familie.

Vier Jahre später ist meine Mutter geboren worden. Als Nesthäkchen durfte sie aus medizinischer Sicht eigentlich gar nicht mehr zur Welt kommen. Für sie und ihre Geschwister war das stillgeborene Geschwisterkind immer ein unumstößliches Tabuthema. Ein Bereich, der für meine Großmutter nur Schmerz, Trauer und vielleicht auch Scham empfand. Ein tiefverschlossenes Geheimnis, an dem keiner rühren durfte. Achtzig Jahre später erzählt sie mir davon, durch Zufall.

Familiengeheimnis.

Ich bin nicht tot, ich tausche nur die Räume,
ich leb´ in euch, geh´ durch eure Träume.
Michelangelo Buonarroti




Fähr-Hülle für Stillgeborene
Die Bezeichnung FÄHR-HÜLLE ist in Anlehnung an die griechische Mythologie entstanden: Die Fähre bringt den Verstorbenen vom Leben über den Fluss Styx in das Totenreich am anderen Ufer.
 
 


Dienstag, 28. Juni 2016

GHOSTWRITER_in

Die Welt ist voller Muster. Muster spiegeln unsere Gewohnheiten, Routinen, Schönheitsideale. Es gibt Zeiten, in denen Muster keine Gültigkeit mehr haben, wenn kein Tag mehr wie der andere ist. Zeiten, die aus dem gewohnten Rahmen fallen, sind oftmals Extremsituationen, Ausnahmezustände und voller Geheimnisse.
 

Seit vielen Monaten begleite ich eine junge Frau, die sterben wird. Zwischen uns hat sich im Laufe der Zeit eine tiefe Verbindung entstanden. Seit einigen Wochen bin ich ihre Ghostwriterin, d.h. ich schreibe für sie ihre Gefühle, Stimmungen und Gedanken auf, die sie mir mitteilt. Ich schreibe ihr kurze Texte, in denen sie sich wiederfinden kann. Sätze, die Räume zum Nachdenken und Türen zum Weiterdenken öffnen. Einer dieser Texte geht so:


Auszug
Schönheit
Seit gestern sind meine Fingernägel wieder so, wie sie sein sollen. Orange. Monatelang habe ich sie vernachlässigt. Ich hatte keine Zeit und keine Kraft für Maniküre, obwohl mir meine Hände viel bedeuten. Ich mag meine Hände, sie sind lang und ausdrucksstark. Jetzt, mit orangefarbenen Fingernägeln und dem Piercing am rechten kleinen Finger schaue ich sie mir wieder gerne an, lasse sie für sich sprechen.
 

Die Veränderungen meines Körpers möchte ich mir am liebsten nicht anschauen, möchte wegsehen und sie verstecken. Sie stimmen nicht mit meiner Vorstellung von Schönheit überein. Früher war ich stolz auf meine Rundungen, meinen Busen, mein Dekolleté, meinen Hintern. Ich fühlte mich begehrenswert und sexy. Ich fühlte mich nicht nur so, ich war es auch.

Heute bin ich dünn und finde keine Rundungen mehr. Lange habe ich nicht mehr richtig in den Spiegel geschaut. Ich kann mein Spiegelbild nicht ausstehen, empfinde meinen Körper beinahe als eine Zumutung, weil er meine Krankheit und meinen Zustand verrät. Doch auch das verändert sich.
Manchmal mache ich mich schön, verwöhne mich und lasse mich verwöhnen. Duftende Bäder und Makeup. Ich mag nach wie vor nicht gerne in den Spiegel schauen, mag dem, was mich anschaut, nicht begegnen. Aber manchmal werfe ich doch einen verstohlenen Blick hinein und spüre die Schönheit, die in mir ist. Eine neue Schönheit. Eine unbekannte Schönheit. Eine entspannte Schönheit, die mit sich im Einklang ist – oftmals.

Manchmal bin ich richtig neugierig auf diese neue Schönheit.


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Meine blog-Einträge werden mit Zeichnungen von geflüchteten Menschen begleitet,
die gerade in Hamburg angekommen sind. Sie sind auf
Kunstaktionen vor ihren Notunterkünften entstanden.
Es ist mir eine große Ehre, dass ich dabei fotografieren durfte.
DANKE! 
 

Fensterreihen, Vogelschwärme, Häuser
Kinder aus Syrien, Afghanistan und dem Kosovo
7 Tage nach ihrer Flucht






Montag, 20. Juni 2016

MADAME oder der Duft des Salzes

 
Hiltrud*

Wenn ein Mensch „plötzlich und unerwartet“ stirbt, dann bleibt etwas zurück. Ein nicht getätigter Anruf, eine vermeintlich falsche Reaktion, eine zu schnelle Absage.
Es gibt Menschen, die sind so speziell, dass ihre Gegenwart schwer auszuhalten ist, beinahe weh tut – für mich. Zu diesen Menschen gehörte auch Hiltrud*. Eine Spur zu direkt, zu penibel, zu impulsiv, zu fordernd, zu schroff, zu engagiert, zu nah. Aber: Sie stellte mit der ihr eigenen Art eine Frage, die uns alle interessierte. „ Wie kommt die Kunst ins Leben?“.
 
Wir – 5 Frauen – haben uns mit dieser drängelnden Frage im Hinterkopf kennengelernt. Wir haben einen Raum geschaffen, indem etwas scheinbar Unmögliches möglich wurde. LIXE* – Kunst im Exil. LIXE*-Zeit. Verbunden hat uns die Suche nach einem Zustand der schöpferischen Hingabe und der Wunsch, „die Kunst ins Leben zu holen“. Wir haben uns in regelmäßigen Abstanden gemeinsam darauf eingelassen. Die dabei entstandenen „Werke“ sprachen wie alle „Kunst-Werke“ immer Bände und konnten kaum etwas von dem verbergen, was uns im Innersten berührt hat. Es ging uns um das genaue Hinschauen und um das aufmerksame Zuhören. Wir haben uns gut kennengelernt. Sehr gut. Zu gut.
 
Das Niemandsland, das Hiltrud beschreibt, hat sich nach unserer gemeinsamen LIXE*-Zeit betreten. „Dann mach ich mir eben meine eigene Chemo und wenn die nicht funktioniert, dann ab ins Licht“ hat sie gesagt. Ich wusste nichts von ihrer Erkrankung. Wenn ich es gewusst hätte, dann hätte ich mich möglicherweise anders verhalten. Hätte vielleicht eher angerufen, hätte unter Umständen eine neue Begegnung gesucht. Hätte, hätte, hätte. Wo kann ich dem, was offen bleibt, begegnen?
Vielleicht sollte ich mir bei den Menschen, die mir begegnen, immer wieder einmal vorstellen, dass sie „plötzlich und unerwartet“ oder auch „viel zu schnell“ sterben könnten. Vielleicht verändert allein diese Vorstellung das Zusammenleben?

Ein Versuch ist es wert. Ich probiere es einfach aus. Mal schauen, was sich verändert. Für Hiltrud.


FÜLLE von LIXE
(* Name geändert)
 


Mittwoch, 8. Juni 2016

LIEBEN KÖNNEN

Mereth

„Ich bin die Katastrophenfrau hier.“ Ein verschüttetes Glas Wasser ist eine Katastrophe. Es gibt eine bestimmte Generation von Frauen, die unter keinen Umständen der Welt zur Last fallen wollen. Frauen um die 80. Kriegskinder. Kriegstöchter. Frauen wie Mereth.

Mereth liest Nadine Gordimer. Sie verehrt diese Schriftstellerin. Langsam und bedächtig redet sie mit einer sehr gewählten Sprache. Manchmal nach Worten suchend. Das aber nicht aus Wortfindungsschwierigkeiten, sondern weil sie nach dem passenden Ausdruck sucht. Sich Zeit nimmt. Ich merke, dass sie das schon immer getan hat. Worte sind ihr wichtig. Den richtigen Ton finden.
Sie erzählt von Nadine Gordimer, ihren Romanen, ihre Kämpfe gegen die Apartheit, ihr Verhältnis zu Nelson Mandela. Mereth erzählt so, als würde sie sie kennen. Eine Frau wie sie, eine afrikanische Schriftstellerin, vielleicht im gleichen Alter. Mereth war noch nie in Afrika. Sie erzählt lange und langsam, während ich ihr Stück für Stück das Essen reiche. Sie legt ihre Worte auf die Waagschale.

Später sprechen wir über ihre Tochter, zu der sie eine innige Verbindung hat. Leise und mit Bedacht kommt der Satz: „ … wenn man in so einer tiefen Harmonie lebt - dann geht die doch über das Zeitliche hinaus - geht über das Sterben hinaus … „
Ein Seufzer von - der Tod ist nahe. Ach ja, der Tod. Der Tod kennt keinen Aufschub.
Ich weiß nicht, ob sie das nächste Mal noch da sein wird.